Kapitel 25: Verbalperiphrasen


25.3.1.1 acabar de + infinitivo

Erstaunlich an der Konstruktion acabar de + Infinitiv ist die Tatsache, dass, bezieht sie sich auf die Vergangenheit, mit dem imperfecto und nicht mit dem indefinito oder pasado perfecto konstruiert wird.

Beispiel

a) Acabo de leer tu carta => Ich habe deinen Brief gerade gelesen.
b) Acababa de leer tu carta => Ich hatte deinen Brief gerade gelesen.
c) Acabé de leer tu carta => Ich habe deinen Brief bis zum Schluss gelesen.

Bei a) und b) ist die wesentliche Aussage, dass ein Vorgang in der unmittelbaren Vorvergangenheit stattgefunden hat, es wird mit „gerade“ übersetzt. Bei c) spielt das keine Rolle. Allerdings ist c) äußerst selten und es herrscht diesbezüglich auch ein schwankender Gebrauch. Ist aber die unmittelbare Vorvergangenheit zu einem Zeitpunkt der Vergangenheit zu schildern, dann wird das imperfecto verwendet (b). Das Beenden der Lektüre des Briefes wird also sozusagen als „Zustand“ angesehen, dessen Ende unbestimmt ist.

Die Vorstellungen, was man unter „gerade“ zu verstehen hat, sind hier vermutlich in allen Sprachen gleich, wahrscheinlich ist etwas „gerade“ geschehen, wenn kein anderes gewichtiges Ereignis dazwischen liegt.

Der Autor ist im übrigen auch der Meinung, dass man bei solchen Strukturen in einen Abgrund von metaphysischen Dimensionen schaut. Der Autor würde sagen, dass 99 Prozent der Menschen mit Deutsch Muttersprache auf die Frage, ob sie Hunger haben in der oben angeführten Art antworten würden. (Vorausgesetzt natürlich, dass sie tatsächlich schon gegessen haben.) Unterschiede gibt es höchstens beim verwendeten Adverb.

Beispiel

A: Hast du Hunger?
B: Nein, ich habe gerade gegessen.
B: Nein, ich habe schon gegessen.


Das ist insofern erstaunlich, als ein schlichtes „Nein, ich habe gegessen“ vollkommen ausreichen würde. Das Perfekt allein beschreibt in kritischen Situationen die Bedeutung einer Handlung der Vergangenheit für die Gegenwart. Ob er etwas gegessen hat, gerade etwas gegessen hat oder schon etwas gegessen hat, ist relativ egal, das Ergebnis ist immer dasselbe: Er hat keinen Hunger. Offensichtlich drängt es aber das Gehirn dazu, auf die Unmittelbarkeit noch mal expressis verbis hinzuweisen. Dieser Drang ist offensichtlich so groß, dass im Spanischen und Französischen hierfür sogar eigene Konstruktionen geschaffen wurden und im Deutschen das Adverb gerade, das an sich auf die Ausdehnung einer Handlung in der Zeit verweist (Ich las gerade ein Buch, als er zur Tür hereinkam) eine neue Bedeutung bekommt, es stellt einen engen Zusammenhang her zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Wahrscheinlich ließe sich empirisch belegen, dass das Gehirn äußerst feinsinnig unterscheiden kann, ob die Handlung für die Gegenwart noch relevant ist, oder nicht. Ist sie dies nicht, dann ist die Antwort ohne gerade.

Beispiel

A: Hast du das Bad geputzt?
B: Ja, hab ich.


Das Gehirn stellt übrigens noch alle möglichen anderen subtilen Dinge an.

Beispiel

A: Hast du das Bad geputzt?
B1: Nein, hab ich nicht.
B2: Nein, hab ich noch nicht


B1 könnte in einen handfesten Krach ausarten, denn er hat wohl nicht mal vor, dies zu tun. B2 lässt erkennen, dass er es noch vorhat.

Es ist nun üblich, in allen möglichen Sonntagsreden auf die Bedeutung der Sprache hinzuweisen, bis hinab zu der Bemerkung, dass ohne Sprache kein Denken möglich sei.

Wir lesen, und da läuft uns glatt ein Schauder über den Rücken, ganz hochoffiziell beim Bundesministerium für Bildung und Forschung:

„Die Sprache ist die stärkste Klammer, die die Geisteswissenschaften zusammen hält. Sprache ist die unverzichtbare Basis jeder Art von Denken.“ aus:
ABC der Menschheit

Empirisch lässt sich wohl eher der Beweis führen, dass das Gehirn bei dem Versuch, seiner sehr ausdifferenzierten Sicht der Welt Ausdruck zu verleihen, sich eine geeignete Sprache schafft. Die Sprache ist lediglich ein Instrument mit dem sich das Denken ausdrückt, das Denken selbst jedoch ist sprachlos und das gleiche Denken schafft sich in jeder Sprache auch Strukturen, die seiner äußerst dynamischen, komplexen Differenzierungsfähigkeit entsprechen, wobei manche Differenzierungen, die „logisch“ gesehen gar nicht notwendig sind, jedoch in allen Sprachen vorgenommen werden, darauf verweisen, dass die Art, wie das Gehirn die Welt sprachlich beschreibt, sich immer ähnelt. Die „Sprachwissenschaft“ beschäftigt sich also letztlich mit dem Instrument, vom Urheber dieses Instrumentes wird völlig abstrahiert. Damit wird die Bedeutung der Sprache derartig erhöht, dass es allmählich gar kein denkendes Subjekt mehr braucht, welches sich dieser bedient, bzw. dieses ist völlig uninteressant. Die Beschreibung der Sprache ist trivial. Wie aber der Urheber derselben seinem Denken sprachlich Ausdruck verleiht, während des Sprechens Gedanken entwickelt und wieder revidiert, wie sprachlos eine Gesamtschau vorliegt, der sprachlich Ausdruck verliehen wird, wie während des Sprechens um präzise Formulierungen gerungen wird, wie je nach Kontext und Zielsgruppe, inhaltlich und stilistisch, die richtigen Wörter gefunden werden etc. etc. ist überhaupt nicht trivial, im Gegenteil, es ist ein Rätsel so dunkel wie die Tiefe des Universums. Man könnte meinen, dass „Sprachwissenschaftler“ dem Objekt ihrer „Wissenschaft“ eine besondere Bedeutung zumessen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Wer Sprache als etwas betrachtet „das an und für sich“ existiert, bei dem der Urheber lediglich höchst abstrakt, schematisch und symbolhaft existiert, der braucht sich nicht darüber zu wundern, wenn entscheidende wissenschaftliche Erkenntnisse von Neurophysiologen, Psychologen oder Philosophen kommen werden, weil er kein Gespür dafür hat, welche komplexen Zusammenhänge sich hinter der sprachlichen Darstellung der Welt verbergen. Das Mysterium der Sprache ist nicht die Sprache selbst, auch wenn Heidegger das mystisch raunt, das Mysterium ist der Urheber selbiger. Dass es bis jetzt noch niemandem gelungen ist, diesem, also dem Gehirn und dessen Verarbeitung von Sprache, wissenschaftlich auf die Pelle zu rücken, rechtfertigt noch nicht, sich in einer Reihe von Trivialitäten zu ergehen. Das Mysterium besteht darin, dass der Autor dieser Zeilen den Text schreiben kann, ohne dass er auch nur die geringste Ahnung hat, warum er dazu in der Lage ist und Sie diesen Text lesen können, obwohl Sie ebenfalls keine Ahnung haben, warum Sie dies können und besonders bedauerlich ist, dass weder Sie noch der Autor erleben werden, dass irgendjemand hier Licht ins Dunkel bringt.



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