Grammatik Satz 202


Spanischer Sat

Me di cuenta de que se trataba de un pensamiento de alegría, de esperanza, pero comprendí también que había muerto al nacer.

Deutscher Satz

Mir war bewusst, dass es sich um einen Gedanken der Freude handelte, der Hoffnung, aber mir wurde auch klar, dass er schon von Geburt an zum Tode verurteilt war.

Grammatik
"Unsere" Übersetzung arbeitet mit einer Konstruktion, die den Prozess des Wahrnehmens betont, die also eigentlich mit einem Vorgangspassiv übersetzt werden müsste, was allerdings im Deutschen etwas schräg klingt.

Mir wurde bewusst, dass es sich um einen Gedanken der Freude handelte, der Hoffnung, aber mir wurde auch klar, dass er schon von Geburt an zum Tode verurteilt war.

Akzeptiert man, dass auf den Moment der Bewußtwerdung abgestellt wird, dann hat man auch keine Probleme das indefinido zu akzeptieren. Das ...Me di cuenta... (Achtung! Das ist nicht wie oben, das einleitende Verb ist hier eine Vergangenheistzeit!) ist ein Verb der mentalen Durchdringung das, bedingt durch die Gleichzeitigkeit und in der Logik der consecutio temporum auch das imperfecto ....que se trataba... verlangt.

Hiervon ist allerdings die Frage völlig unabhängig, ob wir in dem ...Me di cuenta.... nicht bereits eine Interpretation des englischen Textes sehen müssen.

Der englische Orginalsatz lautet.

I felt that it was of joy -- of hope; but I felt also that it had perished in its formation. In vain I struggled to perfect -- to regain it. Long suffering had nearly annihilated all my ordinary powers of mind.

Ich fühlte, dass er von Freude handelte, von Hoffnung; aber ich fühlte auch, dass er kaum entstanden auch schon wieder verblasste. Mir wurde bewusst, dass er von Freude handelte, von Hoffnung, aber mir wurde auch bewusst, dass er kaum entstanden auch schon wieder verblasste.

Wir mussten schon oft leidvoll erfahren, dass das Verb sentir problematisch ist, und auch hier haben wir offensichtlich ein dickes Problem an der Backe.

Das erste Problem besteht darin, dass ...
sentir... auf eine geistige Verarbeitung abstellen kann, es kann aber auch auf eine emotionale Befindlichkeit abstellen, und es kann auch zwischen geistiger Verarbeitung und Befindlichkeit hin und her oszillieren.

ok: Ich fühlte mich gut.
ok: Als er es sagte, fühlte ich, dass er nicht die Wahrheit sagte.
ok: Als er es sagte, wurde mir bewusst, dass er nicht die Wahrheit sagte.
ok: Mir wurde bewusst, dass die Berechnungen nicht stimmten.
nicht ok: Ich fühlte, dass die Berechnungen nicht stimmten.

Nur bei Prozessen, die eindeutig auf das logisch, rationale Denken abzielen, kann
...fühlen... nicht durch ...bewusst werden... ersetzt werden. Hier haben wir es mit einem Fall zu tun, der zwischen geistig, logischer Verarbeitung und Befindlichkeit oszilliert, und auch im Spanischen kann hier ...darse cuenta... durch ...sentir... ersetzt werden. Und genau dies tut Julio Cortázar, er übersetzt mit ...sentir... und zwar im indefinido.

Sentí que era de alegría, de esperanza; pero sentí al mismo tiempo que acababa de extinguirse en plena elaboración.

Die Ambiguität von
...sentir, fühlen... ergibt sich durch die Tatsache, dass bis auf wenige Ausnahmen, mit der emotionalen Befindlichkeit eine Einschätzung der Lage einhergeht. Fühlen als emotionale Befindlichkeit ist ohne Denken kaum vorstellbar. Problematisch hierbei ist, dass im Spanischen, selten aber im Deutschen, sentir auch verwendet wird bei rein physiologischen Prozessen, die von jeder mentalen Tätigkeit völlig unabhängig sind.

Sentía frio. = Mir war kalt.
Sentía hambre. = Ich hatte Hunger.
Sentía un gran cansancio. = Ich war sehr müde.

Die Tatsache aber, dass unsere Übersetzung mit
...darse cuenta... konstruiert, zeigt deutlich, dass wir es hier mit einem Typ von ...sentir... zu tun haben, bei dem die geistige Tätigkeit Grundlage der emotionalen Befindlichkeit ist. Wir haben bereits öfters erwähnt, dass bei Verben geistiger Tätigkeit, wie creer, parecer, sentir, pensar das indefinido den Eintritt der Imagination kennzeichnet, das imperfecto den andauernden Charakter der Imagination unterstreicht. Interessant ist nun, dass "unsere" Übersetzung auch im zweiten Teil des Satzes ...felt... eindeutig als Verb der mentalen Tatigkeit kennzeichnet,

... pero comprendí también

während Julio Cortázar das zweideutige
felt des englischen Orginals wieder übernimmt.
... pero sentí al mismo tiempo.

Es ist also leichter, das indefinido unter Heranziehung "unserer" Übersetzung zu rechtfertigen. ....Me di cuenta.... und ...comprendí.... bezeichnen eindeutig den Beginn der Imagination. Auch Julio Cortázar ist der Meinung, dass der Beginn einer Imagination gemeint ist und übersetzt folgerichtig ebenfalls mit dem indefinido. Bei einem Verb vom Typ
sentir ist aber die Notwendigkeit des indefinidos nicht sofort ersichtlich, weil man sich ja bei oberflächlicher Betrachtung auf den Standpunkt stellen könnte, dass fühlen immer ein andauerndes Ereignis ist.

Wir wollen jetzt noch mal bei beiden Varianten prüfen, ob das imperfecto möglich wäre.

Zuerst "unsere" Übersetzung im imperfecto.

Me daba cuenta de que se trataba de un pensamiento de alegría, de esperanza, pero comprendía también que había muerto al nacer.

Dazu nun folgendes. Gibt man "se daba cuenta" bei google ein, erhält man 4800 Treffer, gibt man "se dieron cuenta ein", erhält man 49500 Treffer. Weiter wird man feststellen, dass weit mehr als die Hälfte aller Treffer von "se daban cuenta" verneint sind. Etwas nicht bemerken kann tatsächlich ein anhaltender Zustand sein.

No me daba cuenta de lo que hacía.
No se daban cuenta de que yo no estaba dentro.

Natürlich kann
...darse cuenta... auch als anhaltender Prozess aufgefasst werden, allmählich wurde ihm klar, was los ist, tatsächlich geschieht dies aber eher selten.

Ähnlich verhält es sich mit
comprender. Gibt man "comprendían que" bei google ein (das que fügen wir ein, um nicht die Sätze zu erwischen, wo comprender die Bedeutung von umfassen hat, weil in dieser Bedeutung natürlich das imperfecto dominiert), erhält man 1680 Treffer. Gibt man "comprendieron que" ein, erhält man 8760 Treffer. Die meisten imperfectos sind auch hier wieder verneint, denn das ...nicht verstehen... ist tatsächlich ein andauernder Vorgang.

No comprendían que estaba sucediendo.
Ellas no comprendían que Dios tiene un propósito para nosotros incluso en nuestras aflicciones.

Natürlich kann der Prozess des Verstehens auch als anhaltender Prozeß verstanden werden und das imperfecto verwendet werden.

Así sucesivamente, al décimo día todos comprendían que había por lo menos 10 enfermos.

Insgesamt kann gesagt werden, dass bei Verben, die eindeutig auf die mentale Durchdringung eines Sachverhaltes abstellen, das indefinido dominiert.

Schauen wir uns den Satz von Julio Cortazar an. Kann hier auch das imperfecto benutzt werden?

Sentía que era de alegría, de esperanza; pero sentía al mismo tiempo que acababa de extinguirse en plena elaboración.

Hier wird es auch für Muttersprachler schwierig.

Bietet man ihnen diese vier Sätze an, entscheiden sie sich oft für eine höchst merkwürdige Kombination.

a) Cuando me lo dijo, me di cuenta que no decía la verdad.
b) Cuando me lo dijo, me daba cuenta que no decía la verdad.
c) Cuando me lo dijo, sentí que no decía la verdad.
d) Cuando me lo dijo, sentía que no decía la verdad.

Viele entscheiden sich nun für b) und d) als die richtige Lösung, obwohl die Logik besagt, dass a) und c) richtig sind. Das ist nicht nur logisch, sondern entspricht auch "unseren" zwei Übersetzungen, die ja beide die gleiche Zeit wählen, aber unterschiedliche Verben verwenden. Tatsächlich könnte hier auch das imperfecto gewählt werden, da sich aus dem englischen Orginal nicht entnehmen lässt, ob auf den erstmaligen Eintritt der Imagination abgestellt wird oder auf die Präsens der Imagination. Es ist prinzipiell auch schwierig, Sätze zu finden, wo es auf diese Unterscheidung ankommt. Ist das Verb
sentir involviert, weicht "unsere" Übersetzung auffallend oft von der Übersetzung Julio Cortázars ab, so in den Sätzen 49 und 52.




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