Grammatik Satz 75


Spanischer Sat

A la larga, se me hizo intolerable la agonía de la incertidumbre y avancé con precaución, extendiendo los brazos y con los ojos fuera de sus órbitas, con la esperanza de hallar un débil rayo de luz.

Deutscher Satz

Auf die Dauer wurde die Todesangst der Ungewißheit unerträglich, und vorsichtig schritt ich, die Arme ausgestreckt und mit Augen, die aus den Augenhöhlen drängten nach vorne, in der Hoffnung, einen Lichtstrahl zu erblicken.

Grammatik

Unsere Aufmerksamkeit erregt die Konstruktion ... se me hizo intolerable... das heißt, die Übersetzung des deutschen werden. Das Spanische kennt für die verschiedenen Übergänge von einem Zustand in den anderen verschiedene Verben (ponerse, volverse, llegar a ser, hacerse, convertirse, quedar und resultar). Bei welchem Typ von Wandlung welches dieser Verben zu verwenden ist, ist ein ausgesprochen schwieriges Kapitel, und es lohnt sich, den entsprechenden Abschnitt der Grammatik noch einmal durchzulesen. Julio Cortázar übersetzt nicht mit ...me hizo... sondern ...mit ...termino por volverse.... Wir sehen also unsere These, dass die Übersetzung des deutschen werden auf sehr unterschiedliche Art und Weisen erfolgen kann und die Regeln, wie es zu übersetzen ist, öfter mal durchbrochen werden, bestätigt. Eigentlich steht ...hacerse... für eine Wandlung, die das Subjekt, das sie erfährt, willentlich herbeiführt. Volverse im Gegenzug steht für eine Wandlung, die das Subjekt,das sie erfährt, nicht gewünscht hat. Die Konstruktion Julio Cortázars ist also mit den "offiziellen" Regeln eher vereinbar, als die Übersetzung, die unseren Überlegungen zu Grunde liegt.

Weiter stellen wir fest, dass die Geschicht im indefinido weitergeht und stellen weiter fest, dass Julio Cortázar jetzt ebenfalls im indefenido fortfährt.

Pero la agonía de la incertidumbre terminó por volverse intolerable, y cautelosamente me volví adelante, con los brazos tendidos, desorbitados los ojos en el deseo de captar el más débil rayo de luz.

Wir haben es mit mit einer kompexen Zeitenfoge zu tun und werden uns deshalb den Abschnitt in den zwei unterschiedlichen Übersetzungen wie auch das englische Orginal nochmal vor Augen führen.

Die Übersetzung, mit der wir arbeiten
No sentí nada. No obstante, temblaba a la idea de dar un paso, pero me daba miedo tropezar contra los muros de mi tumba. Brotaba el sudor por todos mis poros, y en gruesas gotas frías se detenía sobre mi frente. A la larga, se me hizo intolerable la agonía de la incertidumbre y avancé con precaución, extendiendo los brazos y con los ojos fuera de sus órbitas, con la esperanza de hallar un débil rayo de luz. Di algunos pasos, pero todo estaba vacío y negro. Respiré con mayor libertad. Por fin, me pareció evidente que el destino que me habían reservado no era el más espantoso de todos.

Die Übersetzung von Julio Cortázar
No sentí nada, pero no me atrevía a dar un solo paso, por temor de que me lo impidieran las paredes de una tumba. Brotaba el sudor por todos mis poros y tenía la frente empapada de gotas heladas. Pero la agonía de la incertidumbre terminó por volverse intolerable, y cautelosamente me volví adelante, con los brazos tendidos, desorbitados los ojos en el deseo de captar el más débil rayo de luz. Anduve así unos cuantos pasos, pero todo seguía siendo tiniebla y vacío. Respiré con mayor libertad; por lo menos parecía evidente que mi destino no era el más espantoso de todos.

Das englische Orginal
I felt nothing; yet dreaded to move a step, lest I should be impeded by the walls of a TOMB. Perspiration burst from every pore, and stood in cold big beads upon my forehead. The agony of suspense grew at length intolerable, and I cautiously moved forward, with my arms extended , and my eyes straining from their sockets, in the hope of catching some faint ray of light.I proceeded for many paces, but still all was blackness and vacancy. I breathed more freely. It seemed evident that mine was not, at least, the most hideous of fates.

Deutsche Übersetzung
Ich fühlte nichts, aber ich wagte vor Angst gegen eine Wand meiner Zelle zu laufen auch nicht, einen Schritt nach vorne zu machen. Schweiß drang aus allen meinen Poren, und meine Stirn war getränkt von kalten Tropfen. Aber die durch die Unsicherheit hervorgerufene Todesangst wurde unerträglich, und vorsichtig ging ich weiter, mit ausgestreckten Armen, die Augen aufgerissen in dem Wunsch, einen schwachen Lichtschein zu erhaschen. Ich ging einige Schritte, aber alles war nur Nebel und Leere. Ich atmete mit tieferer Freiheit; zumindest schien es offensichtlich, dass mir nicht das allerschrecklichste Schicksal bestimmt sein würde.

Wir stellen also fest, dass die Übersetzung, die unseren Überlegungen zugrunde liegt, wie auch die Übersetzung von Julio Cortázar hinsichtlich der Zeiten absolut identisch sind, bis auf das letzte Verb. Wir haben ein indefinido ... sentí ..., dann drei imperfectos ... daba .../ atrevía, ... brotaba ... / ... brotaba, ... detenía .../... tenía ... Der Rest sind dann alles indefinidos ... hizo ... / ... terminó, ... avance .../... volví ..., ... anduve .../..., dann ein imperfecto ... estaba .../ ... seguía ..., dann wieder  indefinidos ...di ..., ... respiré .../... respiré. Dann haben wir einen Unterschied ... pareció .../... parecía

Zu den vier imperfectos ist zu sagen, dass sie tendenziell ausgreifend sind, das heißt, dass sie die Grundhandlung für die im indefinido beschriebenen Handlungen sind, dass diese Handlungen in jene eingebettet sind. Eine Handlung, die andauert und die als unvollendet beschrieben wird, muss zwangläufig zumindest teilweise als Hintergrundhandlung der Ereignisse verstanden werden, die im indefinido beschrieben werden. Der Schweiß wird ihm wohl bei allen folgenden Handlungen noch aus den Poren getreten sein, und bei allen Handlungen wird seine Stirn von kalten Tropfen bedeckt gewesen sein. Diese zwei Handlungen sind andauernd, überlappen sich mit den anderen und stehen im imperfecto.

Bei dem ... no sentí nada ... sollte man sich mal richtig klar machen, was gemeint ist. Würde abgestellte auf das ...fühlen... im psychischen Sinnen, wäre das indefinido schlicht unerklärlich, bzw. könnte dann, als Verb der geistigen Tätigkeit, höchstens den Beginn des Fühlens beschreiben, der hier aber eindeutig nicht vorliegt.

Es handelt sich aber nicht um dieses Fühlen. Gemeint ist das Fühlen mit der Hand. Er hat vorher die Arme ausgestreckt in der Erwartung, dass er auf einen Widerstand stößt, was aber nicht passiert ist. Diese Art von Nichtfühlen ist eine punktuelle Handlung, die, das haben punktuelle Handlungen nun mal so an sich, eine abgeschlossene Handlung in abgeschlossener Vergangenheit darstellt und folglich im indefinido steht.

Schwierigkeiten bereitet der Wechsel von indefinido auf imperfecto in diesen Sätzen, den beide Übersetzungen vornehmen.

Di algunos pasos, pero todo estaba vacío y negro.
Anduve así unos cuantos pasos, pero todo seguía siendo tiniebla y vacío.

Man muss sich jetzt mal folgendes klarmachen. Er bewegt sich die ganze Zeit in stockdunkler Finsternis. Und nach dem er einige Schritte gemacht hat, bewegt er sich immer noch in der Finsternis. Sein Vorwärtschreiten ist also in die Finsternis eingebettet. Die Finsternis ist eine Hintergrundhandlung und das imperfecto bezeichnet sie als solche. Als Hintergrundhandlung muss sie andauernd sein, sonst kann man keine andere Handlungen einbetten. Der englische Text markiert die Hintergrundhandlung durch das schlichte Wörtchen still.

I proceeded for many paces, but still all was blackness and vacancy. Ich machte einige Schritte, aber noch war alles Finsternis und Leere.

Das indefinido kann folglich nicht stehen, weil das indefinido keine Hintergrundhandlung bezeichnen kann. Es könnte und müsste stehen, wenn man diesen Satz übersetzen will.

Ich ging einige Schritte, und plötzlich umgab mich Finsternis.
= Di algunos pasos y de repente estuve rodeado de la oscuridad.

Diesen Fall haben wir hier aber nicht. Alle anderen Handlungen sind keine Grundhandlungen, sondern punktuelle, aufeinanderfolgende. Natürlich ist klar, dass das ...anduve... eine andauernde Handlung beschreibt, diese ist aber eingebettet in eine Handlungskette. Zuerst war ihm die durch die Unsicherheit hervorgerufene Angst unerträglich geworden. Dann hat er ein paar Schritte nach vorne gemacht und festgestellt, dass nichts Schlimmes passiert ist. Dann hat er aufgeatmet. Ein imperfecto wäre nicht möglich, denn dieser würde als Grundhandlung eine darauf folgende Handlung in dieses Ereignis einbetten.

Interessant sind jetzt die zwei Sätze, wo die Übersetzungen divergieren.

a) Por fin, me pareció evidente que el destino que me habían reservado no era el más espantoso de todos.
b) por lo menos parecía evidente que mi destino no era el más espantoso de todos.

Sowohl für a) als auch für b) lassen sich Argumente finden. a) stellt auf den Eintritt der Imagination ab. Wir haben schon öfters beschrieben, dass das indefinido bei Verben der geistigen Tätigkeit auch den Eintritt der Imagination kennzeichnet. a) stellt auf den Eintritt der Imagination ab, was ja auch durch das Adverb schließlich unterstrichen wird. b) stellt das Andauernde der Imagination in den Vordergrund, was ja auch durch das ...por lo menos... verdeutlicht wird. Übersetzen wir die zwei Sätze ins Deutsche, dann stellen wir auch im Deutschen, wenn dies auch morphologisch nicht zum Ausdruck kommt, fest, dass ...scheinen... jeweils etwas anderes bedeutet.

a) Por fin, me pareció evidente que el destino que me habían reservado no era el más espantoso de todos. => Schließlich schien es mir offensichtlich, dass das Schicksal, welches man für mich reserviert hatte, nicht das schrecklichste von allen war. b) por lo menos parecía evidente que mi destino no era el más espantoso de todos. => Zumindest schien es mir offensichtlich, dass mein Schicksal nicht das schrecklichste war.

a) beschreibt den Anfang einer Imagination, deren erstes Auftreten nach einem bestimmten Zeitraum. Dies wird durch das schließlich zum Ausdruck gebracht.
b) beschreibt nicht den Anfang der Imagination, es beschreibt die Imagination als andauernden Zustand. Weder ist bekannt, wann sie eingesetzt hat, noch wann sie endete.

Es ist logisch, dass sich jetzt eine Frage aufdrängt. Welches wäre die Übersetzung gewesen, die am dichtesten am Orginaltext ist? Der englische Orginalsatz lautet so.

It seemed evident that mine was not, at least, the most hideous of fates.

Es ist wohl ziemlich klar, dass b) , also die Übersetzung von Julio Cortázar diejenige ist, die dichter am englischen Orginal ist. Im englischen Orginal gibt es keinen Hinweis, dass die Imagination zu einem bestimmten Zeitpunkt eingesetzt hat, noch dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt endet. Wer an den Unterschied zwischen einer Beschreibung, die auf den Moment des Eintretens der Imagination abstellt und einer, die die Imagination als andauernden Prozess beschreibt immer noch nicht recht glaubt, dem sei gesagt, dass das Deutsche hierfür sogar zwei verschiedene Verben hat. Erscheinen stellt eher auf den Moment des Eintretens der Imagination ab, scheinen eher auf das Andauernde der Imagination. (Diese Unterscheidung ist zwar im metaphorischen Sinne etwas verblasst, im nicht metaphorischen Sinn ist sie aber vollkommen präsent.)

Er erschien
... stellt auf einen punktuellen Prozess ab, während der Satz ...Er schien... auf das Andauernde verweist und im übrigen auch was völlig anderes bedeutet. In metaphoirscher Verwendung hat sich das etwas verwischt, ist aber trotzdem vorhanden.

Metaphorisch
In dem Moment, in dem er es mir sagte, erschien es mir logisch. Es schien mir eigentlich günstig, bis ich erfuhr, dass man es über das Internet viel billiger bestellen kann.

Nicht metaphorisch
Die Sonne erschien am Horizont. Die Sonne schien am Horizont.



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